Musik.

Es entsteht ganz leise. Ganz tief innen. Aus verhaltenen Geigentönen in deinem Hinterkopf braut sich ein bombastisches Paukengewitter zusammen, das ganz tief in die Magengegend trifft. Bässe, die die Lunge erzittern lassen. Melodien und Schwingungen, die dein ganzes Denken für sich einnehmen.

Ein Gefühl, das jetzt beschlossen hat, Regie zu führen. Unaufhaltsam sucht es sich seinen Weg nach draußen.

Ein kleines Zwinkern reichte aus, um es aufzuwecken. Ein Blick. Haare, die sich von einem Luftzug schubsen lassen. Ein kurzer Hauch eines Geruchs in der Nase.
Ganz leise brechen innere Mauern. Bröckeln kontinuierlich vor sich hin, bis sie nichts weiter sind als Sand. Bis sie den Weg frei machen für dein schönstes Lächeln.

Gegenüber Augen in denen du dich verlierst. Hände, deren Berührungen du kennst, bevor du sie spürst. Haare, deren unbekannter Geruch dir so unendlich vertraut ist. Eine Stimme, die dir imaginäre Gedichte vorliest.

Plötzlich, ganz plötzlich, ist da nur noch Musik und die Vernunft hat Pause.

Das dumme Kind.

„Das Kind ist hinterher.“ War das zentrale Thema einer abendfüllenden Unterhaltung der „besseren Gesellschaft“. Am Tisch: 4 Karriere-Frauen. Und ich. Wie auch immer ich dahin geraten war. Nun war ich eben hier.
Nicht, dass ich mich nicht zu den Karriere-Frauen zählen würde – denn ich bin durchaus höchst zufrieden mit meiner Entwicklung – aber Ihr könnt Euch bildlich vorstellen, welchen Typus ich meine. Frauen, die alles unter einen Hut bringen. Gutes (nun ja, gehobenes) Elternhaus, das man auch gerne mit sündhaft teurer Klamotte zum Ausdruck bringt, die leider mindestens 10 Jahre älter macht, dafür aber kleine Krokodile, YSL’s oder Polospieler aufgestickt hat. Da ist es auch völlig egal, ob pink und lila dem eigenen Teint schmeichelt. Viel wichtiger ist die Hey-ich-kann’s-mir-leisten-Aussage.
Dazu ein Mann. Nicht zwingend ein liebenswerter, bodenständiger und einfühlsamer Kerl mit ähnlichen Interessen, dafür aber einer mit Status und Geld. Und einem Job auf der Visitenkarte, der in der Damenrunde beim „Wer-bin-ich-und-was-hab-ich-Quartett“ sticht. (Kennt Ihr noch dieses Autoquartett? Daran fühle ich mich in solchen Runden immer erinnert.)
Unternehmensberater sticht Assistenzarzt. Patentanwalt sticht Ingenieur. Und Tiffany-Klunker sticht Verlobungsring aus dem Kaugummiautomaten. Natürlich.
Nun ist es an der Zeit, dass die Dame neben dem Studium an der Privatuni und ersten Erfolgen im Job auch ein Kind mit in den Ring wirft. Denn die guten Gene müssen weitergegeben werden. Und es gibt ein Familienmitglied mehr, für das man viel Geld für Klamotten und Equipment ausgeben und das man später auch im Quartett zücken kann.

Das akute Problem allerdings nun: „Das Kind ist hinterher.“ Denn es kann mit 14 Monaten nicht laufen. Ein Drama. Alle am Tisch sind schockiert. Wie kann das sein? Bei zwei dermaßen intelligenten Eltern? Und der frühkindlichen Sprachförderung durch die japanische Nanny? Sie waren doch auch immer beim Babyschwimmen und überhaupt? Und jetzt stellt Euch das vor: wie peinlich. Das einzige Kind in der Krippe das noch nicht laufen kann. Dabei hat man alles erdenkliche getan?
Der zugehörige Unternehmensberater-Vater hat einen Vaterschaftstest angeordnet. Denn es kann wohl nicht sein, dass „das dumme Kind“ seinem Gen-Material entstammt.

Ich finde: es ist ein sehr schlaues Kind. Ich würde auch einfach liegen bleiben. So lange, bis mich alle so behandeln wie ich eben bin: Ein Baby mit 14 Monaten. Und vor allem, bis vielleicht jemand erkennt, dass ich ein bisschen Nähe, Liebe und Zuneigung viel dringender brauche, als einen Strampler mit aufgesticktem Krokodil, Ralph Lauren Schuhe (ich kann sowieso nicht laufen… ) und frühkindliche Förderung.
Lafen kann ich später immer noch.

Der Gelbwurst-Effekt

Ein Kunde vor 14 Tagen: „wo stehen wir?“ (ganzer Inhalt der Mail – kein guten Tag, kein Auf Wiedersehen, kein Gruß, kein Nichts.)
Ich: … „diesbezüglich erwarte ich Ihr Feedback“ … (Auszug aus meiner Nachricht, Kunde hat seit 3 Wochen nicht auf meine Konzepte reagiert – er sollte sich zwischen 3 Varianten entscheiden)
Kunde: „dann schicken sie’s halt nochnmal“ (ganzer Inhalt der Mail – kein guten Tag, kein Auf Wiedersehen, kein Gruß, kein Nichts.)
Also sende ich meine Mail nochmal. Natürlich mit Guten Tag, mit frohen Wünschen und einem Auf Wiedersehen.
Kunde: „schau ich mir an.“ (ganzer Inhalt der Mail – kein guten Tag, kein Auf Wiedersehen, kein Gruß, kein Nichts.)
Stille. Zwei Wochen vergehen.
Heute der Kunde: „wo stehen wir?“ (… ? … )

Immer wieder schleicht sich die Frage in meinen Kopf, warum wir mit Zauberwörtern immer sparsamer werden.
Meine Oma brachte mir schon bevor ich richtig laufen konnte bei, dass man sich für die Scheibe Gelbwurst an der Wursttheke (für die Veganer unter uns: die Karotte am Gemüsestand) mit „Danke“ erkenntlich zeigt. Vorher durfte ich nicht abbeissen. In der Apotheke das gleiche Bild. Wollte ich einen Traubenzucker geschenkt bekommen, musste ich auf die Taschenablage klettern, mit großen Augen gucken und „Bitte“ sagen. Aber erst dann, wenn der Apotheker nicht mehr im Gespräch war. Hat immer funktioniert. Und genau diese Erziehungseffekte sollten doch gewirkt haben? Nicht dass ich heute durchgängig noch Gelbwurst oder Traubenzucker geschenkt bekomme (manchmal aber doch).

Vielleicht sende ich meinem Kunden eine Scheibe Gelbwurst in der Hoffnung, dass alte Gewohnheiten reaktiviert werden können.